Erschienen im BEATPUNK WEBZINE 17.01.2011
Von Igor
In der sächsischen Zeitung ergründet der leitende Redakteur mit Hilfe eines reaktionären Schriftstellers die sächsische Seele und kommt zu erstaunlichen Ansichten.
Dass Patrioten im allgemeinen Menschen mit begrenztem Horizont sind, hat sich historisch erwiesen. Engt man diesen Horizont soweit ein, dass er in etwa dem einer knienden Ameise entspricht, landet man bei sogenannten Lokalpatrioten. Die gibt es in Deutschland in mindestens 16 verschiedenen Ausführungen, wobei sich besonders die südlichen Bundesländer wie Bayern, Baden-Würtemberg und Sachsen damit hervortun, eine hinsichtlich ihrer Mentalität und ihrer Charaktereigenschaften vermeintlich homogene Volksgemeinschaft herbei zu halluzinieren. Das offensichtlichste verbindende Element ist dabei meist die möglichst große Distanz zum Gebrauch der hochdeutschen Sprache. Dies wird natürlich gern mit anderen, für die Region »typischen« Attributen und Charaktermerkmalen ergänzt.
So ist sich der sächsische Ministerpräsident sicher, dass »in jedem Sachsen« ein »Ingenieurs-Gen« stecke. Die Abbrecherquote von etwa 50 % im Maschinenbaustudium beispielsweise der TU Dresden belegt diese These ganz eindrücklich. Überhaupt, die Sachsen. Sie sind, waren und bleiben die Bayern Ostdeutschlands. Sie halten sich gern zu gute, besonders »helle« zu sein, weil in Sachsen das Mundwasser, die Nylonstrumpfhose und andere unersetzliche Dinge erfunden worden sind. Ob es jedoch beispielsweise besonders helle ist, sich nach 40 Jahren Einparteienherrschaft, die vermutlich nächsten 40 Jahre freiwillig an eine raffgierige Clique aus abgehalfterten West‑ und garantiert talentfreien Ost-Christdemokraten zu ketten, wird die Geschichte erweisen. Es wird auch gerne immer wieder behauptet, die Sachsen seien »gemütlich«. Jeder, der sich beispielsweise im Dresdner Verkehrsraum bewegt hat, weiß jedoch, dass rabiater, engstirniger Egoismus gepaart mit einer gewissen oberlehrerhaften Blockwartmentalität, die Realität viel eher beschreiben.
Ein besonderer Spezialist für sächsisches Klischeewesen ist Dr. Peter Ufer, seines Zeichens leitender Redakteur der Sächsischen Zeitung. Dieser beglückte die Leser ebenjener Zeitung am 13. Januar 2011 mit einem großen Portrait von Dieter Wildt, eines 82 Jahre alten Reaktionärs, der, so legen es seine Äußerungen nahe, gerne die Wettiner wieder in Dresden inthronisieren würde. Ob er auch die Wiedereinführung der Leibeigenschaft in Sachsen befürwortet, geht aus dem Artikel leider nicht hervor, ist jedoch denkbar. Dr. Peter Ufer hat seinen greisen Star offensichtlich anlässlich einer home story an dessen Wohnort München besucht und interviewt. Dieser Mann bekam einst »die besten Jobs in der bundesdeutschen Zeitungswelt, arbeitete nicht nur beim Rheinischen Merkur, für den Tagespiegel, für Bild, die Kölner Abendzeitung, Quick und war stellvertretender Chefredakteur der Frauenzeitschrift Constanze« (sprachliche Unzulänglichkeiten vom Original übernommen). Und dies alles nur, weil er im Jahre 1961 ein Buch über die Sachsen publiziert hat. Das Buch trägt den schönen Titel »Deutschland, deine Sachsen«. Wildt hat sich vor dem Verfassen seines Buches nur einmal für eine halbe Stunde in Sachsen aufgehalten, als er, wie Dr. Peter Ufer so schön unbefangen ausführt, »mit einer Gruppe Pimpfen in ein Jugendlager nach Schlesien fuhr.« Er kann deshalb als eine Art Karl May der lokalpatriotischen Literatur betrachtet werden. Sein Arbeitsmotto, dem er, wie vermutlich auch sein Bewunderer Dr. Peter Ufer, wohl lebenslang treu geblieben ist, war dabei: »Rufen Sie kühne Behauptungen in die Welt. Solange keiner widerspricht, gelten sie als wahr.«
Seinen absoluten Höhepunkt erreicht besagter Artikel jedoch an folgender Stelle: »Zwischen den Zeilen behauptete Wildt, dass der Sachse mit seiner Anpassungsgabe vor allem auf den eigenen Vorteil achtete, ein Opportunist sei, der nicht weit entfernt wäre von der jüdischen Mentalität. Höflich, helle, heemticksch.« Aha. Also so ähnlich wie der Oppenheimer in Harlans Jud Süß. Aber eben nur nahe dran. Wahrscheinlich nicht ganz so heimtückisch. Und natürlich viel gemütlicher.
Betrachtet man das publizistische Oeuvre von Dr. Peter Ufer, insbesondere seine regelmäßigen Kommentare in dem besagten Dresdner Wurstblatt, so wird schnell klar, dass der Tag, an dem dieser Mann einen interessanten oder auch nur originellen Gedanken äußert, erst noch erfunden werden muß. Den arischen Volksgenossen unter seinen Lesern wird er diesmal gewiss aus der sächsischen Seele gesprochen haben: »der Jude« als heimtückischer Opportunist. Was schonmal eine ganze Gesellschaft zusammengehalten hat, wird doch auch fürs Zeitung-Abonnenten-Verhältnis reichen: Antisemitismus scheint hier und da auch 2011 noch wirksamer als Haftcreme.